Bruno Russi, die "Nastri" und ihre luftige Architektur

Er hat ein wichtiges Stück Bonner Kunst-Geschichte mitgeschrieben: Bruno Russi. Der im italienischen Gorizia geborene und seit den 70-er Jahren in Bonn lebende Künstler ist weit über die Grenzen seiner Wahlheimat hinaus bekannt.

Zahlreiche Einzelausstellungen belegen Russis Ansehen als das eines immer wieder neue Formen künstlerischen Ausdrucks entwickelnden, experimentierfreudigen Malers, Bildhauers und Grafikers, dessen Leidenschaft räumlichen Dimensionen und dem Zusammenspiel von Farbe und Formen gilt. Als Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender der Bonner Künstlergruppe „Art 7“ und Initiator bemerkenswerter Ausstellungen dieser Gruppe hat er vor und hinter den Kulissen der Kunst- und Kulturszene der Stadt vieles bewegt.

 

Arbeiten früherer Jahre grenzte der Künstler Figuratives und Ornamentales in abstrahierender Formensprache voneinander ab. Spitze und runde Elemente durchdrangen den Raum, kräftige Farben traten in Dialog miteinander und mit dem Betrachter.

In einem subtilen Netzwerk ineinander verwobener Formen und Figurengeflechte wurden vielfältige Emotionen und Assoziationen von Dynamik und Emotion geweckt. Harmonische Weichheit offenbarte sich in sanften Rundungen, eckige, kantige Formen standen für Aggressivität und Angst. Seit einiger Zeit gilt Bruno Russis künstlerische Leidenschaft den „Nastri“, den Bändern, die elegant fließend, sich ständig wandelnd schwingen oder sich als Skulpturen von filigraner Zerbrechlichkeit offenbaren. Das Leitthema der biegsamen Bänder durchzieht nunmehr sein Schaffen und führt zu immer neuen Farb- und Formvariationen. Elastisch, tänzerisch und schwebend durchziehen die Bahnen und Bänder den Raum, gestalten in eigentümlich bewegten Formen die Illusion von Dreidimensionalität, lassen Gestalten heranwachsen, sich verknüpfen und disparat auseinander treiben.

Die Assoziation von Musik liegt nahe. Linien werden zu Tönen, es entstehen Klangfolgen, imaginäre Welten einer gleichsam „luftigen Architektur“, die auch eine innovative Vorstellung von Zeit erzeugt. Hier ist nichts von Dauer – im Augenblick des Entstehens verschwinden die Bilder und Trugbilder auch schon wieder, verändert sich die Linie und damit der sie umgebende Raum. Die „Nastri“ fluten hin und her in zu Schleifen gedrehten Formationen, verfestigen sich, lösen sich auf, binden und begrenzen.

Bruno Russi war und ist ein disziplinierter Perfektionist. Ausgehend vom traditionellen Tafelbild, gelangte er durch mehrere Stadien zu diesem neuen Schwerpunkt seiner künstlerischen Arbeit. Gegenständliches in seinem Oeuvre wandelte sich ebenso grundlegend, wie die Maltechnik des Künstlers. Gewohnte Acrylfarben ersetzte Russi durch unmittelbar mit den Fingerkuppen aufgetragene, zerriebene Pastellkreiden. Gleichwohl möchte er die Bänder als sinnbildliche Bedeutungsträger verstanden wissen. In den Windungen, Falten und Tiefen lassen sich menschliche Gesichter erahnen, darunter auch ein fantastisches „Selbstporträt“ des Künstlers, der im unerschöpflichen Reichtum der Formen immer neue Denkanstösse formuliert.

Russi widersetzt sich konsequent sowohl herkömmlichen Sehgewohnheiten, als auch einem festgeschriebenen Formenkanon und der starren Gliederung von Zeit, Raum und Perspektive. Für die unüberschaubare Fülle der Welt um und in uns, für ihr Wachsen und Vergehen, ihre Kombinationen und Eigenheiten, ihr Fließen im Wechsel von Hell und Dunkel hat er im Rhythmus der „Nastri“ seine ganz eigene Symbolsprache gefunden.

Aber Vorsicht: Ästhetische und elegante Eyecatcher sind Bruno Russis Arbeiten immer. So dynamisch seine geschichteten Gebilde früherer Schaffensperioden auch erscheinen mögen, so bewegt auch die „Bänder“ in arabesken Schwüngen fliegen und flirren, so eignet ihnen auch eine geheimnisvolle, schwerelose Stille.

In diese Stille und in den offenen Raum der Imagination, in das Nichts, aus dem Russis Bänder als Inventar seiner Welt hervorgehen, muss man hineinhören und sich hineinsehen.

Dann entdeckt man in seinem Grundthema der Kommunikation der Formen eine selbstbewusste Bildsprache, die in unsere Zeit passt und zugleich zeitlos ist.

Juni 2012                                                         Dr. Petra Rapp-Neumann